Stabilitätstests: Langzeit-Qualitätsüberwachung nach der Herstellung in der Pharmaindustrie

Stabilitätstests: Langzeit-Qualitätsüberwachung nach der Herstellung in der Pharmaindustrie

Dez, 4 2025

Was passiert mit einem Medikament, nachdem es verpackt und aus der Fabrik verschickt wurde? Es liegt nicht einfach nur auf dem Regal - es verändert sich. Langsam, oft unsichtbar, aber mit schwerwiegenden Folgen. Stabilitätstests sind der einzige zuverlässige Weg, um sicherzustellen, dass ein Medikament bis zum Ablaufdatum wirksam, sicher und stabil bleibt. Dies ist kein optionaler Bonus, sondern eine gesetzliche Pflicht - und eine Frage von Leben und Tod.

Warum Stabilitätstests unverzichtbar sind

Ein Tablet, eine Injektion oder ein Sprühnebel: Sie sehen aus wie am ersten Tag. Doch die Wirkstoffe darin können abbauen, sich zersetzen oder mit der Verpackung reagieren. Das führt zu drei kritischen Risiken: Die Wirkstoffkonzentration sinkt, gefährliche Abbauprodukte entstehen, oder das Medikament verliert seine Form - etwa durch Klumpenbildung oder Farbveränderung. Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA hat 2021 festgestellt: Fast jeder sechste Rückruf eines Medikaments (17,3 %) war auf Stabilitätsprobleme zurückzuführen. Das bedeutet: Patienten bekamen entweder kein wirksames Medikament - oder eines, das schaden könnte.

Stabilitätstests messen genau das: Veränderungen in der chemischen Zusammensetzung, der physikalischen Form, der mikrobiologischen Reinheit und der Wirksamkeit. Sie sind die Grundlage für das Haltbarkeitsdatum auf der Packung. Ohne diese Daten darf ein Medikament nicht auf den Markt. Die Internationale Konferenz zur Harmonisierung technischer Anforderungen für Arzneimittel für den menschlichen Gebrauch (ICH) hat 2003 mit dem Leitfaden ICH Q1A(R2) klare Regeln festgelegt. Diese gelten weltweit - von den USA über Europa bis nach Japan.

Wie Stabilitätstests funktionieren: Klimakammern und Zeitpläne

Stabilitätstests laufen nicht im Labor, sondern in speziellen Klimakammern. Diese simulieren die Umweltbedingungen, unter denen das Medikament gelagert und verwendet wird. Für gemäßigte Klimazonen (wie Mitteleuropa) werden 25°C ± 2°C und 60 % Luftfeuchtigkeit ± 5 % verwendet. In heißen, feuchten Regionen (z. B. Südostasien) sind es 30°C ± 2°C und 65 % Luftfeuchtigkeit. Diese Bedingungen werden über Monate und Jahre konstant gehalten - 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche.

Proben werden in festgelegten Abständen entnommen: zu Beginn (0 Monate), dann nach 3, 6, 9, 12, 18, 24 und 36 Monaten. Bei jedem Testpunkt wird analysiert:

  • Chemisch: Wie viel Wirkstoff ist noch da? Welche Abbauprodukte sind entstanden? (HPLC, GC-MS)
  • Physikalisch: Farbe, Konsistenz, pH-Wert, Zersetzung der Tablette
  • Mikrobiologisch: Ist das Medikament noch steril? Gibt es Schimmelpilze oder Bakterien?
  • Wirksamkeit: Löst sich das Medikament noch richtig auf? (Dissolutionsprofil)
Jede Analysemethode muss vorher validiert sein - das heißt, sie muss zuverlässig und genau messen können, ob sich etwas verändert hat. Das ist kein einfacher Test, sondern ein hochkomplexes Verfahren, das jahrelange Expertise erfordert.

Accelerated Testing: Die schnelle, aber unvollständige Antwort

Niemand kann drei Jahre warten, bis ein Medikament auf den Markt kommt. Deshalb gibt es den beschleunigten Test: 40°C und 75 % Luftfeuchtigkeit für sechs Monate. Das beschleunigt den Abbau - und zeigt, ob das Medikament grundsätzlich stabil ist. Aber: Es ist kein Ersatz für den Langzeittest. Eine Studie aus dem Journal of Pharmaceutical Sciences aus 2021 zeigte: Beschleunigte Tests können Fehler übersehen. Sie sagen, ein Medikament sei stabil - aber nach 24 Monaten in echten Lagerbedingungen fällt es aus.

Deshalb: Beschleunigte Tests sind ein Frühwarnsystem. Langzeittests sind die endgültige Bestätigung. Beide sind nötig. Ein Medikament, das nur den beschleunigten Test besteht, darf nicht vermarktet werden.

Gespaltenes Szenario: Sauberes Labor links, giftiger Zerfall rechts, verbunden durch eine gebrochene Zeitachse.

Die Kosten und der Aufwand: Was hinter den Tests steckt

Stabilitätstests sind teuer. Ein einzelnes Testprogramm für ein neues Medikament kostet zwischen 50.000 und 150.000 US-Dollar. Große Pharmaunternehmen geben jährlich zwischen 500.000 und 2 Millionen Dollar dafür aus. Warum so viel? Weil es nicht nur um die Tests geht, sondern um die gesamte Infrastruktur.

Jede Klimakammer muss regelmäßig kalibriert werden - mindestens alle drei Monate. Jeder Temperaturschwankung muss nachgegangen werden. Ein Ausfall der Klimaanlage, eine unerwartete Luftfeuchtigkeitsspitze - das kann ganze Monate an Daten ruinieren. Ein Pharmaunternehmen berichtete auf Reddit, dass ein solcher Ausfall ihre Zulassung um acht Monate verzögerte - mit Kosten von 2,3 Millionen Dollar.

Auch die Dokumentation ist enorm. Jeder Test muss protokolliert werden: Wie wurde die Probe entnommen? Welches Gerät wurde verwendet? Wer hat die Analyse durchgeführt? Die FDA verlangt mindestens 20 Datenpunkte pro Bericht. Ein Protokoll muss 15 Elemente enthalten - von der Methode bis zur akzeptierten Grenze. Kein Papier, kein Excel-Blatt. Alles muss elektronisch, sicher und nachvollziehbar sein. Unternehmen, die auf digitale Systeme umgestiegen sind, sparen bis zu 55 % Zeit bei der Datenprüfung.

Wer macht die Tests? Inhouse oder Outsourcing?

Große Pharmaunternehmen wie Pfizer oder Roche haben eigene Stabilitätslabore - mit Hunderten von Kammern, Chemikern und Spezialisten. Aber viele kleine Biotech-Firmen oder Generika-Hersteller können sich das nicht leisten. Deshalb arbeiten 72 % der Unternehmen mit externen Dienstleistern zusammen - sogenannten Contract Research Organizations (CROs) wie SGS, Eurofins oder Charles River Laboratories.

Ein Full-Service-Stabilitätsprogramm bei einem CRO kostet zwischen 150.000 und 500.000 Dollar pro Jahr - je nach Anzahl der Produkte. Der Vorteil: Die CROs haben die Infrastruktur, die Zertifizierungen und die Erfahrung. Der Nachteil: Kontrolle verliert man. Wenn etwas schiefgeht, ist die Verantwortung schwer zu klären.

Ein Erfolgsbeispiel: SGS identifizierte 2022 eine gefährliche Wechselwirkung zwischen einem neuen Biologikum und seiner Verpackung - ein Problem, das nur durch Stabilitätstests sichtbar wurde. Ohne diesen Test wäre das Medikament auf den Markt gekommen - mit einem möglichen Verlust von 500 Millionen Dollar und schwerwiegenden Risiken für Patienten.

KI-Geist aus Datenströmen überwacht Medikamentenstabilität, rot-grüne Warnsignale in konstruktivistischem Design.

Neue Entwicklungen: KI, kontinuierliche Produktion und Risikobasierte Ansätze

Die Branche verändert sich. Seit 2023 gilt der neue ICH-Q13-Leitfaden für kontinuierliche Herstellung - ein neuer Produktionsansatz, bei dem Medikamente nicht in Chargen, sondern kontinuierlich hergestellt werden. Das verändert die Art der Stabilitätsprüfung: Es geht nicht mehr nur um die fertige Charge, sondern um die Qualität während des gesamten Prozesses.

Auch Künstliche Intelligenz (KI) kommt ins Spiel. Unternehmen wie Vici Health Sciences und andere nutzen Machine Learning, um Abbaupfade vorherzusagen. Stattdessen drei Jahre zu warten, rechnet die KI: „Bei diesen Bedingungen wird der Wirkstoff nach 22 Monaten um 8 % abbauen.“ Das könnte die Testdauer um 30-40 % verkürzen - bis 2027, so Prognosen von PhRMA.

Ein weiterer Trend: Risikobasierte Tests. Nicht jedes Medikament braucht 36 Monate. Ein einfacher, stabiler Wirkstoff wie Paracetamol könnte mit weniger Tests auskommen - wenn die Daten zeigen, dass er seit 40 Jahren keine Probleme macht. Der Kritiker Dr. Robert Elder argumentiert, dass die jetzigen Vorschriften für solche Produkte übertrieben sind. Die FDA und die EMA prüfen deshalb, ob man für gut verstandene Substanzen die Testintensität reduzieren kann.

Was passiert, wenn Stabilitätstests fehlschlagen?

Ein Versagen hat Konsequenzen. Im Jahr 2021 lehnte die FDA die Zulassung eines Krebsmedikaments ab, weil der Hersteller OOS-Ergebnisse (Out-of-Specification) ignoriert hatte - also Messwerte, die außerhalb der akzeptierten Grenzen lagen. Die Zulassung verzögerte sich um 14 Monate. Ein anderer Hersteller musste 12.000 Flaschen eines Antibiotikums zurückrufen, weil sich ein Abbauprodukt über den Grenzwert erhöht hatte - und Patienten möglicherweise Schaden nahmen.

Stabilitätstests sind kein Hindernis. Sie sind die letzte Sicherheitsbarriere. Sie verhindern, dass ein Medikament, das nicht mehr wirkt oder schädlich ist, in die Hände von Patienten gelangt. Die Industrie hat gelernt: Wer hier spart, zahlt später mit Reputation, Geld - und manchmal mit Leben.

Was bleibt: Ein System, das funktioniert - aber sich weiterentwickelt

Stabilitätstests sind das Herzstück der pharmazeutischen Qualitätssicherung. Sie sind teuer, zeitaufwendig, komplex - aber unersetzlich. Sie sind der einzige Weg, der von der FDA, der EMA und allen globalen Aufsichtsbehörden akzeptiert wird, um die Haltbarkeit eines Medikaments zu beweisen.

Die Zukunft wird nicht heißen: „Weniger Tests“. Sondern: „Bessere Tests“. Mit KI, mit kontinuierlicher Überwachung, mit intelligenten Datenmodellen. Aber der Grundsatz bleibt: Jedes Medikament muss beweisen, dass es auch nach Jahren noch sicher und wirksam ist - nicht nur am Tag der Herstellung.

Die Verpackung auf Ihrem Nachttisch trägt ein Haltbarkeitsdatum. Hinter diesem Datum steckt kein Zufall. Es ist das Ergebnis von Monaten, manchmal Jahren, an präziser, unbequemer, teurer Arbeit - und es rettet Leben.