Ein Medikament kann lebensrettend sein - aber auch tödlich, wenn es falsch eingesetzt wird. Das wissen Ärzte, Apotheker und Patienten. Doch wie sorgt man dafür, dass ein hochwirksames, aber gefährliches Medikament trotzdem auf den Markt kommt? Die Antwort: REMS-Programme. Diese Programme sind kein Bonus, kein Extra, kein Vorschlag. Sie sind eine gesetzliche Pflicht der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA, um Patienten vor schwerwiegenden Risiken zu schützen - ohne sie von der notwendigen Therapie auszuschließen.
Was genau sind REMS-Programme?
REMS steht für Risk Evaluation and Mitigation Strategies - auf Deutsch: Risikobewertung und Minimierungsstrategien. Es handelt sich um strukturierte Programme, die die FDA ab 2007 mit dem Food and Drug Administration Amendments Act (FDAAA) verpflichtend machen konnte. Vorher gab es schon Maßnahmen, etwa für Isotretinoin (Accutane®), das schwere Geburtsfehler verursachen kann, oder Thalidomid, das in den 1950er-Jahren Tausende von Kindern mit missgebildeten Gliedmaßen zur Welt brachte. Doch erst mit REMS wurde ein einheitlicher, verbindlicher Rahmen geschaffen.
Ein REMS-Programm wird nur dann verlangt, wenn die FDA feststellt: Der Nutzen des Medikaments ist groß - aber das Risiko ist so schwerwiegend, dass es ohne zusätzliche Schutzmaßnahmen nicht akzeptabel wäre. Ohne REMS würden viele Medikamente gar nicht zugelassen oder vom Markt genommen. Es geht nicht darum, Patienten zu schützen, indem man sie von Medikamenten abschreckt. Es geht darum, sie zu schützen, indem man den Umgang mit diesen Medikamenten genau regelt.
Wie ist ein REMS-Programm aufgebaut?
Nicht alle REMS-Programme sind gleich. Sie werden je nach Risiko angepasst. Aber sie haben immer mindestens einen der folgenden drei Bausteine:
- Medikationsanleitung (Medication Guide): Ein gedrucktes Blatt, das der Patient beim Abholen der Rezeptur erhält. Es erklärt in einfachen Worten, welche schwerwiegenden Nebenwirkungen möglich sind und wie man sie vermeidet. Fast 80 % aller REMS-Programme verlangen diese Anleitungen.
- Kommunikationsplan (Communication Plan): Hier geht es an die Ärzte und Apotheker. Die Hersteller senden Briefe, Schulungsmaterialien oder Sicherheitswarnungen an Behandler, damit sie die Risiken kennen und richtig informieren können. Etwa 62 % der Programme enthalten solche Pläne.
- Elemente zur Sicherstellung der sicheren Anwendung (ETASU): Das ist die strengste Stufe. Etwa die Hälfte aller REMS-Programme hat diese Komponente. Sie verlangt konkrete, kontrollierbare Schritte: Ärzte müssen sich zertifizieren lassen, Apotheken müssen speziell zugelassen sein, Medikamente dürfen nur in bestimmten Kliniken verabreicht werden, Patienten müssen regelmäßig Bluttests machen oder in Registern erfasst werden.
Ein Beispiel: Das Medikament Lenalidomid (Revlimid®), das bei Krebserkrankungen wie Multiplem Myelom eingesetzt wird, braucht ein ETASU-Programm. Ärzte müssen sich online zertifizieren, Patienten müssen monatlich schwangerschaftstests machen - und das alles wird dokumentiert. Wer das nicht macht, bekommt das Medikament nicht ausgehändigt.
Wer trägt die Verantwortung?
Die Hersteller sind für die Entwicklung, Umsetzung und Finanzierung der REMS-Programme verantwortlich. Sie müssen einen detaillierten Plan einreichen, der beschreibt, wie sie das Risiko mindern wollen. Die FDA prüft diesen Plan - und kann ihn ablehnen, wenn er nicht ausreichend ist. Nach der Genehmigung muss der Hersteller jährlich berichten, ob das Programm funktioniert. Wenn nicht, muss er es ändern. Und wenn es gar nicht mehr nötig ist? Dann kann die FDA das REMS auch wieder abschaffen. Seit 2007 wurde das nur drei Mal gemacht - zuletzt im März 2023 für Zeposia, ein Medikament gegen Multiple Sklerose.
Die Kosten sind hoch: Ein einzelnes REMS-Programm kostet Hersteller durchschnittlich 2,7 Millionen Dollar pro Jahr. Das ist kein Nebenkostenposten - das ist ein Teil der Produktentwicklung. Und es wirkt: Die FDA schätzt, dass REMS-Programme jährlich 8,4 Milliarden Dollar an Behandlungskosten durch vermeidbare Nebenwirkungen sparen. Ein Preis, den man zahlt, um Leben zu retten.
Was ist mit Apothekern und Ärzten?
Die größte Belastung tragen nicht die Hersteller - sondern die Behandler vor Ort. Ein Arzt, der Lenalidomid verschreibt, muss sich zertifizieren. Das dauert 45 Minuten. Und das nicht nur einmal - bei jedem neuen Medikament mit REMS. Ein Hämatologe in einer Krebspraxis verbringt durchschnittlich mehr als fünf Stunden pro Woche mit REMS-Dokumentation. Das ist Zeit, die nicht mehr für Patienten da ist.
Auch Apotheker stehen vor Herausforderungen. Wenn ein Medikament ein ETASU-Programm hat, dürfen sie es nur ausgeben, wenn sie nachweisen können: Der Arzt ist zertifiziert, der Patient hat den Test gemacht, die Einweisung ist erfolgt. Das bedeutet: Online-Portale aufrufen, Formulare prüfen, Dokumente speichern - oft 15 bis 20 Minuten pro Rezept. Ein Apotheker auf Reddit schreibt: „Der Entyvio-REMS fügt 15 bis 20 Minuten pro Rezept hinzu. Das bremst den ganzen Ablauf.“
Und dann gibt es noch die Spezialapotheken. Fast 90 % der REMS-Medikamente dürfen nur von spezialisierten Apotheken abgegeben werden - nicht von der Drogerie um die Ecke. Das macht die Versorgung komplizierter, teurer und langsamer. Viele Patienten müssen warten, bis das Medikament per Post kommt - oder sie reisen in eine andere Stadt, um es abzuholen.
Warum blockieren REMS-Programme Generika?
Ein großes Problem: REMS-Programme werden oft als Werkzeug genutzt, um Generika vom Markt fernzuhalten. Wenn ein Hersteller ein REMS-Programm hat, muss ein Generikahersteller Zugang zu den Medikamenten haben, um seine Version zu testen. Aber viele Markenhersteller verweigern diesen Zugang - mit der Begründung, das REMS erlaube es nicht. Das ist illegal, aber schwer zu beweisen.
Eine Studie aus dem Oktober 2024 zeigt: 78 % der Generikahersteller berichten von Verzögerungen von durchschnittlich 14,3 Monaten, nur weil sie nicht an die Originalmedikamente kommen. Das bedeutet: Patienten zahlen teurer, weil es keine günstigeren Alternativen gibt. Die US-Regierung hat deshalb im Dezember 2022 die 21st Century Cures Act-Reform verabschiedet - sie verlangt, dass Generika innerhalb von 90 Tagen Zugang zu den Medikamenten erhalten. Aber bislang wird das kaum durchgesetzt.
Was ändert sich in Zukunft?
Die FDA weiß: REMS-Programme sind notwendig - aber sie sind zu schwerfällig. Deshalb startet sie das „REMS Modernization Initiative“. Ziel: Weniger Papierkram, mehr Digitalisierung. Statt Briefe zu versenden, sollen elektronische Systeme die Zertifizierungen prüfen. Statt manuelle Dokumentation, sollen Daten aus Kliniken automatisch erfasst werden.
Ab 2025 soll ein „REMS-Dashboard“ online sein - ein digitales Kontrollzentrum, das zeigt: Welches Programm funktioniert? Welches ist überflüssig? Welches belastet zu viel? Das ist ein großer Schritt. Bisher war es fast unmöglich, die Effektivität eines REMS-Programms zu messen. Jetzt wird es transparent.
Auch die Patienten sollen besser informiert werden. Die FDA arbeitet an mehrsprachigen Materialien - für Menschen, die kein Englisch sprechen. Denn viele Patienten verstehen die Anleitungen nicht - und das ist gefährlich.
Wie wirkt sich das auf Patienten aus?
Ein Patient, der ein REMS-Medikament verschrieben bekommt, erlebt oft: Verzögerungen. Verwirrung. Frust. 42 % der Befragten in einer GoodRx-Umfrage aus 2023 sagten: „Ich musste meine Behandlung verschieben, weil das REMS-Programm nicht schnell genug lief.“
Das liegt nicht an der Medizin. Das liegt an der Logistik. Eine Patientin mit Multipler Sklerose, die Lemtrada (Alemtuzumab) braucht, muss das Medikament in einem Krankenhaus bekommen - nicht zu Hause. Sie muss vorher Bluttests machen, sich beraten lassen, Dokumente unterschreiben. Und das alles, bevor das Medikament überhaupt verabreicht wird. Es ist ein großer Aufwand - aber er rettet Leben. Denn Lemtrada kann schwere Autoimmunreaktionen auslösen. Ohne REMS wäre es zu riskant.
REMS-Programme sind kein perfektes System. Sie sind kompliziert, teuer, zeitaufwendig. Aber sie funktionieren. Sie haben verhindert, dass Tausende von Frauen schwere Geburtsfehler durch Isotretinoin erleiden. Sie haben verhindert, dass Hunderte von Patienten an agranulozytosis sterben, weil sie Clozapin ohne Überwachung einnahmen. Sie haben verhindert, dass Krebspatienten durch unkontrollierte Nebenwirkungen sterben.
Es ist kein Ideal. Aber es ist die beste Lösung, die wir heute haben - um Medikamente zu nutzen, die sonst nicht verfügbar wären. Und das ist kein Nachteil. Das ist ein Erfolg.
Was ist der Unterschied zwischen einem REMS-Programm und einer normalen Warnung auf der Packungsbeilage?
Eine Packungsbeilage informiert allgemein über mögliche Nebenwirkungen. Ein REMS-Programm ist eine verbindliche, überwachte Maßnahme mit konkreten Handlungspflichten: Ärzte müssen sich zertifizieren, Apotheken müssen speziell zugelassen sein, Patienten müssen Tests machen oder registriert werden. Ohne diese Schritte darf das Medikament nicht ausgegeben werden. Es ist kein Hinweis - es ist eine Voraussetzung.
Warum gibt es so viele REMS-Programme für Krebsmedikamente?
Krebsmedikamente sind oft extrem wirksam - aber auch extrem toxisch. Sie greifen nicht nur Krebszellen an, sondern auch gesunde Zellen. Medikamente wie Lenalidomid, Pomalidomid oder Brentuximab verursachen schwere Blutbildstörungen, schwere Infektionen oder Geburtsfehler. Ohne REMS-Programme mit Zertifizierungen, Registrierungen und regelmäßigen Kontrollen wäre die Sicherheit nicht gewährleistet. Deshalb machen Krebsmedikamente fast ein Drittel aller REMS-Programme aus.
Kann ein REMS-Programm wieder abgeschafft werden?
Ja - aber nur, wenn die FDA nachweisen kann, dass das Risiko nicht mehr besteht oder andere Sicherheitsmaßnahmen ausreichen. Seit 2007 wurde das nur dreimal gemacht. Der letzte Fall war Zeposia im März 2023. Die Behörde prüft regelmäßig, ob die Programme noch nötig sind. Wenn sich die Daten ändern - etwa durch bessere Überwachungstechnologien - kann das REMS auch überflüssig werden.
Warum müssen Apotheker so viel Zeit für REMS aufwenden?
Weil sie die letzte Kontrollinstanz sind. Bevor sie ein Medikament mit ETASU ausgeben dürfen, müssen sie prüfen: Ist der Arzt zertifiziert? Hat der Patient die erforderlichen Tests gemacht? Ist die Einweisung dokumentiert? Das geht nicht automatisch. Es erfordert manuelle Abfragen in Online-Portalen, das Speichern von Dokumenten, die Prüfung von Formularen. Das ist kein Routinegeschäft - das ist eine Sicherheitskontrolle. Und das dauert.
Wie beeinflussen REMS-Programme die Kosten für Patienten?
Direkt beeinflussen sie die Kosten nicht - aber indirekt schon. Da REMS-Programme oft die Einführung von Generika verzögern, bleiben die Preise hoch. Außerdem müssen Patienten oft zu Spezialapotheken reisen oder auf Postlieferungen warten. Das bedeutet mehr Zeit, mehr Reisekosten, mehr Stress. Die direkte Kostensteigerung durch das REMS selbst ist gering - aber die logistischen Hürden sind groß.
Ich find’s gut, dass es so was gibt. Klar, der Papierkram ist nervig, aber lieber ein bisschen mehr Aufwand als ein toter Patient. Hab selbst einen Kollegen verloren, der ohne Kontrolle ein Medikament genommen hat. Das war grausam.
HAHAHAHAHA die FDA ist doch nur ne Bürokratie, die sich selbst wichtig macht! Die Hersteller zahlen Millionen, damit die Ärzte stundenlang Formulare ausfüllen, während die echten Probleme wie Preisgouging oder fehlende Forschung ignoriert werden. Das ist doch nur ein Schutzschild für Big Pharma! Und die Generika? Die werden absichtlich blockiert! Das ist kriminell!
Es ist interessant, wie wir Risiken managen. Wir akzeptieren, dass ein Medikament tödlich sein kann – solange es strukturiert kontrolliert wird. Aber wir lehnen gleichzeitig ab, dass Menschen ohne Zugang zu diesen Medikamenten sterben. Das ist kein Widerspruch – das ist die Definition von verantwortungsvoller Medizin. Wir opfern Effizienz für Sicherheit. Und das ist menschlich.
Ich versteh die Sorge der Ärzte – echt, ich versteh sie. Fünf Stunden pro Woche nur für Formulare? Das ist doch Wahnsinn. Und dann noch die Apotheker, die jedes Mal 20 Minuten investieren müssen… Das ist nicht Sicherheit – das ist Burnout-Programmierung. Aber… ich weiß auch, dass es ohne diese Schritte schlimmer wäre. Es ist so ein verdammt schwerer Kompromiss.