In-vivo vs. In-vitro Bioäquivalenztests: Wann wird welches Verfahren eingesetzt?

In-vivo vs. In-vitro Bioäquivalenztests: Wann wird welches Verfahren eingesetzt?

Nov, 14 2025

Wenn es um die Zulassung von Generika geht, ist Bioäquivalenz der entscheidende Punkt. Doch wie beweist man, dass ein billigeres Medikament genauso wirkt wie das Original? Hier kommen zwei Methoden ins Spiel: In-vivo und in-vitro Bioäquivalenztests. Beide haben ihre Stärken - und ihre Grenzen. Die Frage ist nicht, welche besser ist, sondern: Wann wird welche eingesetzt?

Was ist überhaupt Bioäquivalenz?

Ein Generikum muss nicht exakt wie das Original aussehen. Es muss aber dieselbe Wirkstoffmenge enthalten und genauso gut vom Körper aufgenommen werden. Das nennt man Bioäquivalenz: Die Rate und das Ausmaß, mit dem der Wirkstoff im Blut ankommt, muss praktisch identisch sein. Die US-amerikanische FDA definiert das als „keinen signifikanten Unterschied in der Aufnahme des Wirkstoffs“ zwischen Original und Generikum - unter gleichen Bedingungen und in der gleichen Dosis.

Das klingt einfach. Aber wie misst man das? Hier gibt es zwei Wege: direkt im menschlichen Körper - oder im Labor.

In-vivo-Tests: Der Goldstandard mit Menschen

In-vivo bedeutet „im lebenden Organismus“. Hier werden gesunde Freiwillige in klinischen Studien eingeschlossen. Typisch ist ein 2×2-Crossover-Design: Jeder Teilnehmer nimmt zuerst das Originalmedikament, dann nach einer Washout-Phase das Generikum - oder umgekehrt. Blutproben werden über Stunden entnommen, um zu messen, wie viel Wirkstoff im Blut ist.

Die entscheidenden Werte sind Cmax (höchste Konzentration im Blut) und AUC (Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve). Beide müssen für das Generikum im Bereich von 80,00 % bis 125,00 % des Originals liegen. Das ist die Regel für die meisten oralen Feststoffe. Bei Medikamenten mit engem therapeutischem Fenster - wie Warfarin oder Levothyroxin - wird der Bereich strenger: 90,00 % bis 111,11 %.

Warum ist das wichtig? Weil es zeigt, wie der Körper das Medikament tatsächlich verarbeitet. Die Aufnahme hängt von vielen Faktoren ab: Magen-Darm-Bewegungen, pH-Wert, Enzyme, Nahrungseinfluss. Nur ein In-vivo-Test kann das alles erfassen.

Ein solcher Test dauert 4 bis 6 Wochen. 18 bis 24 Probanden sind nötig. Die Kosten liegen zwischen 500.000 und 1 Million US-Dollar. Und es gibt ethische Bedenken: Menschen werden einem Medikament ausgesetzt, das nicht unbedingt für sie gedacht ist.

In-vitro-Tests: Der Laborweg mit Präzision

In-vitro bedeutet „im Glas“. Hier wird nichts am Menschen getestet. Stattdessen wird das Medikament im Labor analysiert. Die wichtigste Methode: Auflösungstest. Ein Tablet wird in Flüssigkeiten mit unterschiedlichem pH-Wert (von sauer wie Magensaft bis neutral wie Dünndarm) gelegt. Man misst, wie schnell der Wirkstoff sich löst.

Andere in-vitro-Methoden: Partikelgrößenverteilung, Tröpfchengröße bei Inhalatoren, Dosierung pro Sprühstoß, oder die Menge des freigesetzten Wirkstoffs in einer Inhalationskammer. Diese Tests sind präzise, wiederholbar und haben eine Variabilität von oft unter 5 % - im Vergleich zu 10-20 % bei In-vivo-Studien.

Der große Vorteil: Geschwindigkeit und Kosten. Ein In-vitro-Test dauert 2 bis 4 Wochen und kostet zwischen 50.000 und 150.000 US-Dollar. Keine Probanden, keine Klinik, keine langen Genehmigungsprozesse.

Aber: Was im Labor gut funktioniert, muss nicht im Körper funktionieren. Ein Tablet kann sich perfekt auflösen - aber wenn es im Darm nicht aufgenommen wird, weil es zu groß ist oder an der Schleimhaut haften bleibt, ist es nicht bioäquivalent.

Waage zwischen menschlichem Körper und Labor-Test mit Warnsymbolen und chemischen Symbolen

Wann reicht ein In-vitro-Test aus?

Nicht für alle Medikamente. Die FDA und die EMA akzeptieren in-vitro-Tests nur unter klaren Voraussetzungen.

  • BCS-Klasse I: Wirkstoffe mit hoher Löslichkeit und hoher Permeabilität (z. B. Metoprolol, Atenolol). Hier korreliert die Auflösung direkt mit der Aufnahme im Körper. 78 % der Biowaiver (also Ausnahmen von In-vivo-Tests) für Generika 2021 betrafen BCS-Klasse I-Substanzen.
  • Lokal wirksame Produkte: Nasensprays, Inhalatoren, Cremes. Wenn der Wirkstoff nur in der Nase oder auf der Haut wirken soll, braucht man nicht zu messen, wie viel ins Blut geht. Hier reicht ein präziser in-vitro-Test der Dosierung und Partikelgröße.
  • IVIVC-Modell: Wenn ein wissenschaftlich validierter Zusammenhang zwischen Laborergebnis und Blutspiegel nachgewiesen ist - mit einem Korrelationskoeffizienten von r² > 0,95. Das gilt z. B. für bestimmte verzögert freisetzende Theophyllin-Präparate.

Ein Beispiel: Teva erhielt im Oktober 2022 die Genehmigung für ein Generikum des Nasensprays Budesonid - ausschließlich auf Basis von in-vitro-Daten. Ein Meilenstein. Denn das war das erste Mal, dass die FDA ein Nasenspray ohne In-vivo-Studie zugelassen hat.

Wann ist In-vivo unverzichtbar?

Es gibt Situationen, da kann kein Labor den Körper ersetzen.

  • Enge therapeutische Fenster: Bei Medikamenten wie Digoxin, Phenytoin oder Warfarin ist selbst ein kleiner Unterschied in der Aufnahme lebensgefährlich. Hier verlangt die FDA immer eine In-vivo-Studie.
  • Nicht-lineare Pharmakokinetik: Wenn die Aufnahme nicht proportional zur Dosis ist - etwa bei Alkohol oder bestimmten Antiepileptika -, kann man das nicht im Labor vorhersagen.
  • Stark nahrungseinflussabhängige Wirkstoffe: Einige Medikamente werden nur mit Essen gut aufgenommen. Dann muss man nicht nur nüchtern, sondern auch nach einer Mahlzeit testen - und das geht nur mit Menschen.
  • BCS-Klasse III: Wirkstoffe mit hoher Löslichkeit, aber geringer Permeabilität (z. B. Aminoglykoside). Hier korreliert die Auflösung nur mit 65 % Genauigkeit mit der tatsächlichen Aufnahme im Körper.
  • Neue oder komplexe Formulierungen: Wenn ein Generikum eine neue Art von Trägersystem hat - etwa ein Mikroemulsionsgel oder ein spezielles Pulver für Inhalatoren -, ist oft keine valide IVIVC vorhanden. Dann muss man testen, wie es sich im Körper verhält.

Ein Fall aus der Praxis: Ein Hersteller von antifungalen Cremes ließ sein Produkt nur mit in-vitro-Daten zu. Nach dem Marktstart kamen Berichte über geringere Wirksamkeit. Eine Nachuntersuchung mit In-vivo-Studien zeigte: Die Creme löste sich im Labor perfekt - aber nicht auf der Haut der Patienten. Die Kosten: 850.000 US-Dollar und 11 Monate Verzögerung.

Wissenschaftler verbindet Tablet mit biologischem Netzwerk und Korrelationsgraphen in der Luft

Wie entwickelt sich die Zukunft?

Die Tendenz ist klar: In-vitro-Methoden gewinnen an Bedeutung. Die FDA will bis 2025 zwei neue Leitlinien veröffentlichen, die den Einsatz von in-vitro-Tests für komplexe Produkte wie Inhalatoren oder Nasensprays regeln. Die EMA hat 2022 über 200 Biowaiver auf Basis von in-vitro-Daten genehmigt - ein Anstieg von 27 % gegenüber 2020.

Auch neue Technologien helfen: Physiologisch basierte Pharmakokinetikmodelle (PBPK) simulieren, wie ein Medikament im Körper absorbiert wird - mit Daten zu Magen-Darm-Bewegung, Blutfluss, Enzymen. Die FDA hat bereits einige Generika auf Basis solcher Modelle zugelassen.

Die Vision: Ein Hybridansatz. In-vitro-Tests als Standard für einfache, gut verstandene Wirkstoffe. In-vivo-Studien nur noch für Risikofälle - enge therapeutische Fenster, komplexe Formulierungen oder wenn etwas unklar ist.

Die Industrie begrüßt das: 67 % der Hersteller konnten 2021 erfolgreich Biowaiver für BCS-Klasse I-Produkte beantragen. Die Einsparungen sind enorm. Ein Hersteller von Teva berichtete, dass ein in-vitro-Test 1,2 Millionen US-Dollar und acht Monate ersparte - aber drei Monate mehr Entwicklungsaufwand erforderte.

Was bedeutet das für Patienten?

Dass ein Generikum auf Basis von in-vitro-Daten zugelassen wurde, bedeutet nicht, dass es schlechter ist. Es bedeutet nur: Die Wirkung ist durch wissenschaftlich fundierte Laboruntersuchungen nachgewiesen worden - und das ist oft genauso zuverlässig wie eine Studie mit Menschen.

Die Aufsichtsbehörden prüfen jede Methode streng. In-vitro-Methoden müssen validiert, reproduzierbar und mit der biologischen Wirkung verknüpft sein. Es geht nicht um Kosteneinsparung - es geht um wissenschaftliche Genauigkeit.

Am Ende zählt nur eins: Das Medikament wirkt, wie es soll. Ob im Labor oder im Körper - Hauptsache, es hilft.

Was ist der Unterschied zwischen In-vivo und In-vitro Bioäquivalenztest?

Ein In-vivo-Test misst die Wirkstoffaufnahme direkt im menschlichen Körper über Blutproben. Ein In-vitro-Test analysiert das Medikament im Labor - etwa durch Auflösungstests oder Partikelgrößenmessungen. In-vivo zeigt, wie der Körper das Medikament verarbeitet; In-vitro prüft, ob das Produkt physikalisch und chemisch dem Original entspricht.

Warum werden In-vitro-Tests immer häufiger akzeptiert?

Weil sie präziser, schneller und günstiger sind - und weil die Wissenschaft bessere Modelle entwickelt hat. Besonders für Wirkstoffe mit hoher Löslichkeit und Permeabilität (BCS-Klasse I) korreliert die Laborauflösung sehr gut mit der tatsächlichen Aufnahme im Körper. Mit validierten IVIVC-Modellen und physiologisch relevanten Testmethoden können In-vitro-Daten heute verlässlich die Bioäquivalenz beweisen.

Kann man ein Generikum nur mit In-vitro-Tests zulassen?

Ja - aber nur unter strengen Voraussetzungen. Die FDA und EMA akzeptieren das für BCS-Klasse I-Wirkstoffe, lokal wirksame Produkte wie Nasensprays oder Inhalatoren, und wenn ein validiertes In-vitro-In-vivo-Korrelationsmodell (IVIVC) vorliegt. Das gilt nicht für Medikamente mit engem therapeutischem Fenster oder komplexer Aufnahme.

Wie viel kostet ein In-vivo-Bioäquivalenztest?

Ein In-vivo-Test kostet zwischen 500.000 und 1 Million US-Dollar und dauert 3 bis 6 Monate. Ein In-vitro-Test liegt bei 50.000 bis 150.000 US-Dollar und dauert 2 bis 4 Wochen. Die Kostenunterschiede sind enorm - aber nur bei geeigneten Wirkstoffen kann man auf In-vivo verzichten.

Warum ist In-vivo immer noch nötig, wenn In-vitro so genau ist?

Weil der menschliche Körper viel komplexer ist als ein Labor. Faktoren wie Magen-Darm-Bewegung, pH-Veränderungen, Nahrungseinfluss oder individuelle Enzymaktivität können die Aufnahme stark beeinflussen - und das lässt sich nicht vollständig im Labor nachbilden. Bei Medikamenten mit engem therapeutischem Fenster oder unklarer Aufnahme ist In-vivo die einzige sichere Methode.