Wenn ein Arzt ein Biosimilar verabreicht, passiert mehr, als nur eine Injektion. Hinter der Behandlung steckt ein komplexes System aus Codes, Zahlungsregeln und finanziellen Anreizen, das bestimmt, wie viel der Anbieter bekommt - und warum manche Biosimilare trotz günstigerer Preise kaum verwendet werden. Das liegt nicht an der Wirksamkeit, sondern an der Abrechnung.
Wie Biosimilare im Medicare Part B abgerechnet werden
Im Medicare Part B, das Arzneimittel abdeckt, die von Ärzten verabreicht werden, werden Biosimilare nicht wie herkömmliche Generika behandelt. Während ein Generikum denselben HCPCS-Code wie das Originalmedikament nutzt, erhält jedes Biosimilar einen eigenen, einzigartigen Code. Das ist seit 2018 so. Vorher hatten alle Biosimilare eines Referenzprodukts denselben Code - ein System, das dazu führte, dass Hersteller von billigeren Biosimilaren benachteiligt wurden, weil sie für die niedrigere Preisentwicklung nicht belohnt wurden.
Heute bekommt jedes Biosimilar, sobald es von der FDA zugelassen ist, entweder einen Q-Code (vorläufig) oder einen J-Code (dauerhaft). Diese Codes sind produktspezifisch. Zum Beispiel: Inflectra, ein Biosimilar von Remicade, hat den Code J1745. Renflexis, ein anderes Biosimilar von Remicade, hat J1746. Jeder Code hat seinen eigenen Zahlungssatz.
Die Zahlung berechnet sich nach einem klaren Schema: 100 % des eigenen ASP (Average Selling Price) plus 6 % des ASP des Referenzprodukts. Das bedeutet: Selbst wenn ein Biosimilar 30 % günstiger ist als das Original, erhält der Arzt nicht 30 % weniger. Er bekommt immer noch 6 % vom teureren Referenzprodukt dazu. Für Remicade mit einem ASP von 2.500 $ pro Dosis bedeutet das: 150 $ Zusatz. Für ein Biosimilar mit 2.000 $ ASP: 150 $ Zusatz. Der Unterschied liegt nur im Grundpreis. Der Anreiz, das billigere Produkt zu wählen, ist also geringer, als es scheint.
Warum das System Biosimilare behindert
Das System ist technisch präzise - aber wirtschaftlich verzerrt. Ein Arzt verdient mehr pro Dosis, wenn er das teurere Originalmedikament verabreicht. Das hat Folgen. Eine Studie des MIT aus dem Jahr 2020 zeigte: Bei Remicade (2.500 $) versus Inflectra (2.000 $) verdient der Anbieter 150 $ Zusatz bei beiden - aber 30 $ mehr Gesamteinnahme pro Dosis beim Original. Das ist kein kleiner Unterschied, wenn man täglich Dutzende Dosen verabreicht.
Ergebnis? Obwohl Biosimilare bis zu 30 % günstiger sind, liegt ihre Marktdurchdringung in den USA bei nur etwa 35 %. In Europa, wo andere Systeme wie Referenzpreise oder Ausschreibungen gelten, liegt sie bei 75-85 %. Die USA haben die besten Biosimilare der Welt - aber kein System, das sie wirklich nutzt.
Ein weiteres Problem: Die 6 %-Zulage wird immer noch auf das Referenzprodukt berechnet, auch wenn das Biosimilar bereits seit Jahren auf dem Markt ist. Das bedeutet: Selbst wenn ein Biosimilar den Markt dominiert, wird seine Zahlung immer noch am teureren Original ausgerichtet. Das schafft eine künstliche Preisschere. Hersteller können ihre Preise senken, aber der Anreiz für Ärzte bleibt unverändert.
Der JZ-Modifier: Ein neuer bürokratischer Aufwand
Seit Juli 2023 gibt es eine neue Anforderung: den JZ-Modifier. Er muss auf Rechnungen für Infliximab und seine Biosimilare gesetzt werden, wenn keine Restmenge verloren geht - also wenn die volle Dosis verabreicht wird. Das klingt einfach. In der Praxis ist es ein zusätzlicher Schritt, der viele Praxen verwirrt.
Ein Gastroenterologe in Ohio berichtete, dass sein Abrechnungsteam nach der Einführung des JZ-Modifiers 30 % mehr Zeit mit der Überprüfung von Dokumenten verbrachte. Warum? Weil die Kassen prüfen, ob der Modifier richtig gesetzt wurde. Falsch gesetzt? Die Rechnung wird abgelehnt. Das führt zu Verzögerungen, Nachbearbeitung und Stress. Besonders für kleinere Praxen, die keine großen Abrechnungsteams haben, ist das eine Belastung.
Und das, obwohl der Modifier eigentlich die Transparenz erhöhen sollte. Er soll verhindern, dass Ärzte mehr Medikament verabreichen, als nötig - und dafür bezahlt werden. Aber er bringt keine finanziellen Vorteile für Biosimilare. Er macht nur die Abrechnung komplizierter.
Wie Ärzte mit der Abrechnung umgehen
Einige Praxen haben gelernt, mit dem System zu arbeiten. Eine Studie der Community Oncology Alliance aus dem Jahr 2022 zeigte: Praxen, die ein Doppelkontrollsystem einführten - Pharmazeuten prüfen vor der Abrechnung, ob das verabreichte Produkt mit dem Code übereinstimmt - konnten Fehler von 12-15 % auf unter 3 % senken.
Hersteller wie Fresenius Kabi haben dafür auch Handbücher veröffentlicht. Ihre 2023er Anleitung für STIMUFEND® wurde von 87 % der Ärzte als „hilfreich“ bewertet. Aber das ist kein Ersatz für ein besseres System. Viele Ärzte sagen: „Wir wissen, dass Biosimilare sicher sind. Aber wir wählen das Original, weil es einfacher abzurechnen ist und uns mehr Geld bringt.“
Ein weiterer Faktor: Medicare Advantage-Pläne zahlen oft anders als Medicare Part B. Einige zahlen nur 100-103 % des ASP, andere haben eigene Preislisten. Das macht die Abrechnung noch unübersichtlicher. Ein Patient kann in derselben Praxis zwei verschiedene Rechnungen bekommen - je nachdem, welcher Versicherer ihn abdeckt.
Was sich ändern könnte
Experten sind sich einig: Das aktuelle System funktioniert - aber nicht gut. Die MedPAC (Medicare Payment Advisory Commission) schlägt seit Jahren vor, einen „consolidated billing“-Ansatz einzuführen: Alle Produkte eines Referenzmedikaments - Original und Biosimilare - würden unter einem einzigen Code abgerechnet. Die Zahlung wäre dann 106 % des gewichteten Durchschnittspreises aller Produkte in dieser Gruppe.
Das würde den Anreiz für Biosimilare massiv erhöhen. Wenn das billigste Produkt den niedrigsten Durchschnittswert hat, würde der Arzt mehr verdienen, wenn er es wählt. Kein mehr 6 %-Zuschlag auf das teure Original. Kein JZ-Modifier. Einfach: Wer am billigsten ist, gewinnt.
Ein Bericht der RAND Corporation schätzt, dass diese Änderung die Marktdurchdringung von Biosimilaren in den USA von 35 % auf 60-65 % heben könnte. Das wäre ein Sprung, der Milliarden an Gesundheitskosten sparen würde. Das Congressional Budget Office schätzt, dass ein solches System in zehn Jahren 3,2 Milliarden Dollar an Medicare-Einsparungen bringen könnte.
Aber die Pharmaindustrie widersetzt sich. Ein niedrigerer Preis für Biosimilare bedeutet weniger Gewinn. Und wenn die Zahlung nicht mehr vom Originalprodukt abhängt, sinkt auch der Anreiz, neue Biosimilare zu entwickeln. Es ist ein Balanceakt zwischen Innovation und Kostensenkung.
Was Patienten und Ärzte wissen sollten
Als Patient: Sie haben das Recht, nach Biosimilaren zu fragen. Sie sind sicher, wirksam und billiger. Aber der Arzt wird sie nur verabreichen, wenn es für ihn finanziell sinnvoll ist. Fragen Sie: „Gibt es ein Biosimilar für mein Medikament? Wie viel spart das für die Versicherung?“
Als Arzt: Nutzen Sie die Handbücher der Hersteller. Prüfen Sie regelmäßig die HCPCS-Codes auf der CMS-Website. Die Codes ändern sich jedes Quartal. Verwenden Sie ein Doppelkontrollsystem. Und denken Sie daran: Der Anreiz, Biosimilare zu wählen, liegt nicht in der Zahlung - sondern in der Politik. Solange die 6 %-Zulage am Referenzprodukt hängt, wird sich nichts ändern.
Die Zukunft der Biosimilare in den USA hängt nicht von der Wissenschaft ab. Sie hängt von der Abrechnung ab. Und die muss sich ändern - sonst bleibt der Markt hinter seinem Potenzial zurück.